Sibylle Egloff, Limmattaler Zeitung
Einen Monat vor Betriebsstart durften fünf Menschen mit Beeinträchtigung in Begleitung von Mitarbeitenden der Arwo-Stiftung aus Wettingen die neue Limmattalbahn unter die Lupe nehmen. Die Freude der ÖV-angefressenen Besucher war immens.
«Sofort einsteigen und abfahren. Fort», sagt Gian-Piero Ventura und schwingt jubelnd ein Schweizer Fähnchen, als eine Limmattalbahn vorfährt. Der Neuenhofer ist nicht der Einzige, der völlig ausser sich ist vor Freude bei der Besichtigung des Limmattalbahn-Depots Müsli in Dietikon. Charalampos Zisaki klatscht, als ein anderes Fahrzeug hupend anrollt und der Spreitenbacher Boban Glisic strahlt übers ganze Gesicht und wiederholt immer wieder, wie schön und toll er alles findet.
Die drei Männer und ihre Kollegen Felix Frei und Luca Isch haben eine Beeinträchtigung und werden von der Arwo-Stiftung in Wettingen durchs Leben begleitet. Am Mittwochmorgen erfüllte sich mit dem Besuch des Depots für sie und besonders für Gian-Piero Ventura ein grosser Traum. Schon lange fiebern sie dem Betriebsstart der Limmattalbahn entgegen.
Er freut sich über jeden Zeitungsartikel
«Immer wenn der Bahn wieder ein Artikel in der Zeitung gewidmet ist, kommt Gian-Piero zu mir ins Büro und zeigt mir freudig den Bericht», sagt Melanie Bär. Das veranlasste die Kommunikationsleiterin der Arwo-Stiftung dazu, sich bei der Aargau Verkehr AG (AVA), der Betreiberin der Limmattalbahn, zu melden. «Weil viele der Bewohner so begeistert davon sind, dachte ich, es wäre schön, wenn sie die Fahrzeuge aus nächster Nähe betrachten und vor der Eröffnung im Dezember sogar schon mal darin herumfahren könnten.»
Die Anfrage stiess bei der AVA auf offene Ohren. «Wir freuen uns, dass sie so grosse Fans sind und erfüllen diesen Wunsch gerne», sagt Michael Briner, Kommunikationsverantwortlicher der AVA. Er schlug Bär einen Rundgang durch das Depot Müsli vor. «Fahrten mit Passagieren sind bis zur Inbetriebnahme nicht erlaubt. Aktuell verkehren die Bahnen nur zu Test- und Schulungszwecken», so Briner.
Auch wenn die Fahrt in der Bahn noch nicht möglich ist, löste die Nachricht über den bevorstehenden Ausflug nach Dietikon grosse Begeisterung aus. «Gian-Piero war sogar eine Viertelstunde früher parat und wollte bereits ohne die anderen losfahren», erzählt Bär. Sie, John Green, Leiter Agogik, und Sibylle Streuli, die für die Abteilung Grafik und Design zuständig ist, begleiten die fünf Männer.
Ajdin Kadic, Standortleiter Lokpersonal, führt die Besucherinnen und Besucher durchs Depot und beantwortet zahlreiche Fragen. So wollen die Beeinträchtigten etwa wissen, weshalb Gras auf den Bahntrassees wächst und weshalb das nicht geschnitten wird. «Es wird zweimal im Jahr geschnitten. Je höher das Gras ist, desto weniger hört man die Bahn, es ist schalldämpfend und damit ein Vorteil», sagt Kadic.
Nachdem er den Limmattalbahn-Fans ein paar Informationen zum Depot liefert, betritt er mit ihnen ein Gefährt. Die Besucher können Probe sitzen und auch mal im Führerstand Platz nehmen. «Wo ist der Abfallkübel»?, fragt Gian-Piero Ventura. «Unsere Flotte verfügt wie alle Trams im ZVV-Gebiet über keine Abfalleimer. Für die Abfallentsorgung stehen an den Haltestellen Mülleimer bereit», erklärt Briner.
Das Interesse an Führungen ist gross
Den prüfenden Augen der Beeinträchtigten entgeht nichts. «Wo ist der Billettautomat, um die Fahrkarte zu stempeln? Ich will unbedingt stempeln», sagt Ventura. Entwerten könne man die Karten nicht in der Bahn drin, sondern draussen an der Haltstelle, gibt Kadic zur Antwort. Er muss über die Fragen der Beeinträchtigten schmunzeln.
«Ich habe schon vielen Personen das Depot präsentiert. Doch die Interessen sind bei unseren heutigen Besuchenden ganz anders. Es geht um den Nutzen und weniger um Zahlen wie beispielsweise bei Politikern oder Bähnlern.» Führungen und Rundgänge im Depot seien sehr beliebt. «Eine Zeit lang hatten wir so viele Anfragen, dass wir kaum Termine dafür fanden. Besichtigungen zu organisieren, gehört ja auch nicht zu unseren Hauptaufgaben», so Kadic.
Angefressen sind die Beeinträchtigten nicht nur von der Limmattalbahn. Sie fahren generell gerne im Bus der Regionalen Verkehrsbetriebe Baden-Wettingen, im Postauto oder im Zug. Gian-Piero Ventura zeigt stolz seinen Swiss Pass, den er an einer Kette um den Hals trägt. Unterwegs ist er zudem häufig mit einer SBB-Leuchtweste und einer Dächlikappe der Schweizerischen Bundesbahnen.
Bis nach Neuenhof soll die Bahn nicht fahren
Seine Liebe für die Limmattalbahn hat aber auch Grenzen, wie ein Gespräch über die Weiterführung der Strecke bis nach Baden offenbart. «Stopp, fertig. In Neuenhof hat es keinen Platz», sagt der Neuenhofer. Anderer Meinung ist Boban Glisic. Er würde sich darüber freuen, wenn die Bahn bis nach Baden fahren würde. Das Busfahren gehört zu Glisics Lieblingsbeschäftigungen. Regelmässig begleiten ihn Angestellte der Arwo-Stiftung auf seinen Reisen.
Auch wenn die Besuchenden immer wieder stürmen und fragen, wann das Fahrzeug abfahre, müssen die Verantwortlichen und die Arwo-Mitarbeitenden mehrmals betonen, dass sie sich noch bis zum 11. Dezember gedulden müssten. Dann wird die Limmattalbahn ihren Betrieb zwischen Zürich Altstetten und Killwangen aufnehmen. Die erste offizielle Fahrt gemäss Fahrplan startet um 5.03 Uhr morgens ab der Haltestelle Spreitenbach Kreuzächer in Richtung Bahnhof Zürich Altstetten.
Bereits einen Tag davor am Samstag, 10. Dezember, findet ein grosses Eröffnungsfest von 12 bis 20 Uhr für die Bevölkerung im Depot Müsli mit Gratisfahrten, Musik, Unterhaltung und einem reichhaltigen Verpflegungsangebot statt. Der Festakt für geladene Gäste wird schon am Freitag, 9. Dezember, über die Bühne gehen.
Bundesrätin Sommaruga kommt
Erwartet werden unter anderem die scheidende Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP), die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh (FDP) und der Aargauer Regierungsrat Stephan Attiger (FDP). «Da sind wir dabei», sagen Glisic und Ventura mit einem breiten Lächeln. Am 10. und 11. Dezember werden sie wieder in die Limmattalbahn steigen und dann endlich losfahren können.