Rückblick zweier Geschäftsführer: vom quantitativen zum qualitativen Wachstum.


Martin Finschi setzt sich an den runden Tisch im Büro von Roland Meier. Mit Blick zum Stehpult sagt der 84-Jährige: «Dieses Chefpult symbolisiert die Veränderungen der Zeit: Heute stehen Computer und andere technische Geräte darauf, ich hatte damals nicht einmal eine Schreibmaschine.» Mit damals meint er das Jahr 1974, als die arwo unter dem Namen Arbeitszentrum Wettingen (AZW) den Betrieb aufnahm. Drei Angestellte und elf Menschen mit Beeinträchtigung legten damit den Grundstein der heutigen arwo Stiftung.

«Ich sah mich als Heimvater,
war Mädchen für alles.»

Martin Finschi

Martin Finschi war der erste Betriebsleiter. «Ich sah mich als Heimvater, war Mädchen für alles. Wir probierten einfach aus, es war weniger professionell als heute», sagt er zu Roland Meier gerichtet, der ihm aufmerksam zuhört. «Es war schon professionell. Ihr habt einfach beim Tun gelernt. Vielleicht wäre das heute manchmal auch besser», sagt Roland Meier und lacht. Der 59-Jährige ist der dritte Geschäftsführer in der arwo.
«Ich war hauptsächlich damit beschäftigt, die ständig wachsenden Bedürfnisse abzudecken», sagt Martin Finschi. Das belegen auch die Zahlen: Der Personalbestand wuchs innerhalb von 10 Jahren von 13 auf 200 Personen und verdoppelte sich bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2001 nochmals. Einfluss auf das grosse Wachstum hatten auch die Wohnplätze, die zum Arbeitsbereich hinzukamen. Im Vergleich wuchs die arwo Stiftung unter dem bereits verstorbenen zweiten Geschäftsführer Alfred Isch und Roland Meier mengenmässig nur noch marginal. «Ich beschäftige mich heute mit qualitativem Wachstum, weil die Anforderungen des Umfelds und der Geldgeber stetig wachsen», sagt Roland Meier. Eine Herausforderung sei es, die arwo mit den vielen Abteilungen als ein Unternehmen zusammenzuhalten.

Etwas, was sich nicht verändert hat, ist die Wichtigkeit der Öffentlichkeitsarbeit. Damals war es keine Selbstverständlichkeit, Arbeits- und Wohnplätze für Menschen mit Beeinträchtigung anzubieten. «Besucher, die wir durch unsere Werkstatt führten, waren oftmals erstaunt, wie ‹normal› Menschen mit Behinderung arbeiten», sagt Finschi.

Einige Politiker störten sich, als die arwo an der Schwimmbadstrasse eine zweite Werkstätte eröffnen wollte. «Wir haben jetzt genug Behinderte in Wettingen», erinnert sich Finschi an die Aussage eines Politikers. Heute habe sich diese Haltung zwar geändert, das Thema hingegen sei heute noch diffiziler als früher, begründet Roland Meier, wieso es nach wie vor Öffentlichkeitsarbeit braucht. Auf der einen Seite könne man für einige nicht genug tun. «Sie idealisieren und schiessen übers Ziel hinaus.» Auf der anderen Seite stelle er einen allgemeinen Rückgang von Toleranz fest. «Ein bisschen Lärm, und schon wird reklamiert.»

«Ich musste lernen, dass man nur helfen kann, wenn jemand die Hilfe annehmen will.»

Martin Finschi

Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt sich auch in der Sprache. Es sei ganz normal gewesen, von Behinderten zu sprechen, so Martin Finschi. «Auch sie selbst nannten sich so. Es wurde nie abwertend verstanden.» Später wurden sie Klienten genannt. «Dieses Wort hingegen gefiel mir nie, es tönt so klinisch.»
Roland Meier ist ganz zufrieden mit der heutigen Bezeichnung «Menschen mit Beeinträchtigung». Für ihr Wohl das Maximum herauszuholen, ohne die Organisation dabei zu überfordern, das sei seine tägliche Herausforderung. «Dabei fasziniert mich die unglaubliche Vielfalt der Menschen und der Themen, mit der ich während meiner Arbeit zu tun habe.» Zu erleben, welche Freude und Befriedigung die Menschen mit Beeinträchtigung während der Arbeit hatten, war, was Martin Finschi gefallen hat. Und die Schattenseiten? «Ich musste lernen, dass man nur helfen kann, wenn jemand die Hilfe annehmen will. Einige Arbeitsverhältnisse mussten wieder abgebrochen werden.» Doch über alles gesehen, habe er als Betriebs- und Geschäftsleiter mehr Schönes als Trauriges erlebt. Das wünscht er auch Roland Meier, der zuversichtlich ist, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht. (bär)