„Auch wenn die Lösung am Schluss einfach ist, erkennt man sie oftmals nicht auf den ersten Blick“

— Eugenio Abela, leitender Arzt PDAG

Ein Teil der Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung leidet unter psychischen Erkrankungen. Ursache, geeignete Therapie und Massnahme zu finden, ist schwierig. Seit acht Jahren gibt es an der Klinik für Konsiliar-, Alters- und Neuropsychiatrie (KAN) bei den Psychiatrischen Diensten Aargau (PDAG) in Windisch ein auf diese Menschen spezialisiertes Angebot. Auch Bewohnende der arwo Stiftung nutzen es.

«Bei uns arbeiten Menschen, die Freude daran haben, ganz schwierige Probleme zu lösen», sagt Simone Meister, Leiterin Pflege-, Sozialpädagogik- und Fachtherapien im Zentrum für Entwicklungs- und Neuropsychiatrie (ZEN). Aufgrund der intellektuellen Entwicklungsstörung, wie die kognitive Beeinträchtigung von Fachleuten genannt wird, entspricht das kognitive emotionale Entwicklungsalter nicht dem eigentlichen Alter und die Betroffenen können sich weniger gut oder gar nicht mitteilen. Um bei einer psychischen Erkrankung trotzdem herauszufinden, was ihnen fehlt und wie ihnen geholfen werden kann, brauche es viel Fachwissen und Kreativität.

Die arwo Stiftung ist dankbar, auf dieses Wissen zurückgreifen zu können. Fünf Bewohnende verbrachten dieses Jahr zur Abklärung und Stabilisierung einige Wochen auf der Spezialstation des ZEN in Windisch. Einer von ihnen hatte sich zuvor immer wieder selbst verletzt und sich auch gegenüber Mitbewohnenden und Betreuenden übergriffig verhalten. Zur Beruhigung zog er sich ins Zimmer zurück oder wurde dorthin in ein Time-out geschickt. Weil es ihm nicht besser ging und weil auch die Mitbewohnenden und Betreuenden unter der Situation litten, wurde er bei den PDAG angemeldet. Dort fanden die Fachleute heraus, dass der Bewohner zwar schnell von Reizen überflutet ist und Ruhe und Rückzug braucht, ihn längere Kontaktunterbrüche zu seinen Bezugspersonen jedoch stark verunsichern und zu selbstverletzendem Verhalten führen. Seither achten die Betreuerinnen und Betreuer in der arwo darauf, ihn in solchen Situationen enger zu begleiten und nicht lange alleine im Zimmer zu lassen.

Beziehung als Erfolgsfaktor

«Auch wenn die Lösung am Schluss einfach ist, erkennt man sie oftmals nicht auf den ersten Blick», sagt Eugenio Abela, leitender Arzt und Co-Zentrumsleiter. Wo keine Gespräche möglich sind, wird beobachtet, analysiert und ausprobiert. Ein wichtiger Erfolgsfaktor sei die Beziehung. «Menschen mit einer Intelligenzminderung brauchen eine kontinuierliche Bezugsperson», sagt Simone Meister. Deshalb ist der Betreuungsschlüssel auf der Spezialstation hoch, wenn nötig eins zu eins. Diese intensive Betreuung führt zwar zum Erfolg, aber auch zu hohen Personalkosten. «Wir behandeln eine Patientengruppe, die in der Medizin kaum wahrgenommen wird und wenig Lobby hat», sagt Simone Meister. Eugenio Abela fügt an: «Es muss auf politischer und gesellschaftlicher Ebene noch mehr passieren, damit die Gesundheitsversorgung von Menschen mit intellektueller Entwicklungsstörung adäquat ausgebaut werden kann.» Denn zurzeit gibt es wenige auf diese Klientel spezialisierte Stationen: Neben dem ZEN gibt es Angebote im Psychiatriezentrum Münsingen, in Lausanne und Genf.

Spezialisten im Einsatz

«Ziel einer intensiven Betreuung des Patienten ist es auch, die Medikamente gut einzustellen»,  sagt der Co-Zentrumsleiter, der weiss, dass es früher viele Vorurteile gegenüber psychiatrischen Kliniken gab. Die Mitarbeitenden und Bewohnenden der arwo Stiftung machen heute eine andere Erfahrung. Das jetzige  Angebot der PDAG ist für sie eine wertvolle Unterstützung bei herausfordernden Situationen.

Auf der spezialisierten Station sorgen Sozialpädagogen, Pflegefach- und Betreuungspersonen für das Wohlergehen der Menschen mit Beeinträchtigung. Aufgrund der beschränkten Bettenzahl müssen sie bei einer Notfallplatzierung allerdings meistens zuerst im Zentrum für Psychiatrie und Psychotherapie für Erwachsene (ZPPS) untergebracht werden. «Wir unterstützen das dortige Personal mit unserem Fachwissen. Die Mitarbeitenden versuchen, so gut wie möglich auf ihre besonderen Bedürfnisse einzugehen», sagt der Co-Zentrumsleiter. Dabei gehe es häufig darum, Angst und Stress zu nehmen, eine gute Kommunikation aufzubauen und Sicherheit zu vermitteln. Ein Austausch findet auch mit der Bezugsperson der zuweisenden Institution statt: Bei der Einweisung, einem Zwischen- und Austrittsgespräch sowie zwischendurch, wenn Fragen auftauchen. Mit manchen Bewohnenden finden alle paar Monate Nachsorgen statt.

Auch Kurse in den Institutionen selbst bieten die PDAG an. Roland Hirrlinger, Fachmann für Deeskalationsmanagement bei den PDAG, schulte beispielsweise Angestellte einer Wohngruppe zum Umgang mit einem Bewohner in der arwo. «Das hat mir Sicherheit im Umgang mit seinen herausfordernden Situationen gegeben und verhindert, einen Tunnelblick zu bekommen», sagt ein Teammitglied, das in der arwo als Fachperson Betreuung tätig ist. Eine gute Sache, finden auch Pflegeleiterin Meister und Co-Zentrumsleiter Abela: «Diese Befähigung in Institutionen wäre aus unserer Sicht ein sinnvolles Entwicklungsfeld, der Bedarf wäre vorhanden.»  (bär)