Wenn zur Behinderung Demenz hinzukommt, ist das besonders herausfordernd. Expertin Claudia Hermann erklärt, warum Demenz bei Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung oft nicht sofort erkannt wird und welche Anzeichen trotzdem darauf hindeuten.
«Menschen mit einer Demenz sind nicht in der Lage, sich ans Umfeld anzupassen», sagt Claudia Hermann. Sie muss es wissen, denn sie leitet in der Stiftung Arkadis die Fachstelle «kognitive Beeinträchtigung und Demenz» und führt eine Gruppe mit neun Bewohnern, die zusätzlich zur Beeinträchtigung an Demenz erkrankt sind. Im Gegensatz zur Arkadis gibt es in der arwo keine solche Gruppe. «Wahrscheinlich sind aber auch bei uns einige Bewohnende dement oder sicher im Anfangsstadium dazu», sagt arwo-Gruppenleiterin Nadia Mendonza-Rodrigues. Sie war eine der knapp 20 arwo-Angestellten, die an der eintägigen Schulung zum Thema «kognitive Beeinträchtigung und Demenz» teilnahm. «Was sind die klaren Anzeichen beginnender Demenz?», will sie von der Expertin wissen. «Demenz wirkt sich bei jedem anders aus, weil die Symptome bei kognitiver Beeinträchtigung und Demenz jedoch teilweise gleich sind, ist es besonders schwierig, eine Diagnose zu stellen», antwortete Hermann. Vergesslichkeit, die vielfach als Indiz für Demenz gelte, sei bei vielen Menschen mit Beeinträchtigung schon vorher da. Auch Wortfindungsstörungen oder Orientierungsprobleme sind bei einigen von ihnen alltäglich. «Niemand schliesst sofort daraus, dass es sich dabei um beginnende Demenz handelt, deshalb wird sie bei Menschen mit Beeinträchtigung oftmals später diagnostiziert.»
Um trotz dieser Symptom-Überlagerung unterscheiden zu können, was man der beginnenden Demenz und was man der kognitiven Beeinträchtigung zuordnen muss, empfiehlt Hermann, das typische Verhalten der Bewohner schriftlich festzuhalten – bei Menschen mit Trisomie 21 spätestens mit 30 Jahren, bei allen anderen mit 50. «So kann man vergleichen und merkt, wenn sich etwas verändert.» Verändertes Verhalten sei nämlich das Hauptindiz einer beginnenden Demenz.
Die einen verhalten sich auf einmal böse oder aggressiv, die anderen desinteressiert und depressiv oder unbeschwert wie ein Kind. Wir versuchen, sie in ihrer Welt abzuholen.» So habe man einem Bewohner, der sich immer wieder nackt auszog und seinen Rollstuhl mit Urin und Kot beschmutzte, einen Body über die Windeln angezogen, den er nicht öffnen konnte. «In diesem Fall hat es funktioniert, er zog sich einfach bis zum Body aus und war zufrieden.»
Nicht immer fände sich aber eine Lösung; man müsse ausprobieren und es brauche viel Kreativität und Geduld. «Und wir befinden uns häufig in einem Spannungsfeld zwischen Selbstbestimmung und Einschränkung», sagt Claudia Hermann. Das Abschliessen von Türen, um Bewohnende am Weglaufen und nicht mehr Heimfinden zu hindern, sei ein Beispiel. Das Nutzen eines Rollators oder Rollstuhls um Stürze zu verhindern, ein anderes. «Demenz kann dazu führen, dass eigentlich einfache Bewegungen wie das Laufen nicht mehr ausgeführt werden können.» Hilfsmittel wie der Rollstuhl werden in der Stiftung Arkadis deshalb frühzeitig ins Zimmer gestellt. So werden die Bewohnenden dazu animiert, sich reinzusetzen. «Damit sie positive Erfahrungen damit machen und an ihn gewöhnt sind, wenn sie ihn brauchen», sagt Hermann und fügt an: «Denn Veränderung bedeutet Stress für Menschen mit Demenz und Stress beschleunigt die Krankheit.»
Man spürt schnell, die Bewohnenden liegen ihr am Herzen. «Ja, das Schwierigste ist, wenn ich merke, dass sie gestresst sind und ich nicht herausfinde, wie die Situation verbessert werden könnte.» Sie selbst ist zufällig zur Spezialistin geworden, hat vorher zehn Jahre lang als Betreuerin in der Arkadis gearbeitet. Als dort eine Gruppe für Menschen mit Beeinträchtigung und mit Demenz gebildet wurde, hat sie die Leitung übernommen und sich zum Thema weitergebildet. Warum? «Es gibt keinen bestimmten Grund, das Thema und die Menschen haben mich einfach von Anfang an fasziniert.»
Ob irgendwann so viele Bewohnende mit einer Demenz in der arwo leben, dass eine separate Gruppe Sinn macht, ist zurzeit noch nicht klar. «Die Bedürfnisse klaffen auseinander, das spricht für eine separate Gruppe. Andererseits ist es gut, wenn sie so lange wie möglich in ihrer gewohnten Struktur bleiben können und sich möglichst wenig verändert», sagt arwo-Geschäftsführer Roland Meier. Deshalb werde man auch bei der anstehenden Sanierung keine besonderen baulichen Massnahmen dafür vorsehen. (Melanie Bär)