Peter Steiner (Bild) braucht orthopädische Massschuhe. Selbst kann er sich die Schuhe nicht leisten. Dank Spenden kann er jetzt trotzdem gehen, ohne sich wund zu laufen.
Bereits um 7 Uhr ist Peter Steiner in der Tagesstätte und isst ein paar Trauben. «Ich stehe immer früh auf, meistens schon um halb fünf», sagt er gutgelaunt. Heute hat er noch einen Termin beim Optiker in Baden. Die Schuhe stehen bereits parat. «Jetzt habe ich noch die Hausschuhe an», sagt er und zeigt auf die Füsse. Sowohl die geschlossenen als auch die oben nur mit Klettverschluss versehenen Schuhe sind orthopädische Massschuhe. Peter Steiner wurde nämlich mit sogenannten Klumpfüssen, einer Fehlstellung der Füsse, geboren. Er konnte nie «normale» Schuhe tragen, allerdings reichte lange Zeit eine orthopädische Serienanfertigung. Mittlerweile haben sich die Beschwerden und Verformungen der Füsse verstärkt, die verkrümmten Zehen, die «Hammerzehen», stossen im Schuh oben an, durch die Reibung entstehen Wunden. «Wir sehen uns seine Füsse jeden Tag an, um zu verhindern, dass Bakterien in die offene Wunde gelangen und zu Entzündungen führen», sagt Betreuerin Barbara Meier, die gerade Frühdienst hat. Peter Steiner hat bereits auf dem Sofa Platz genommen und seine Socken ausgezogen. Barbara Meier, mit Plastikhandschuhen und Salbe ausgerüstet, sieht sich die Füsse an. Sie findet nur winzige offene Stellen, salbt diese ein, legt Schafwolle um die Zehen und zieht ihm Stützstrümpfe an. «Du musst einfach die neuen Schuhe tragen, dann sollten keine wunden Druckstellen mehr entstehen», sagt Meier. Die orthopädischen Massschuhe wurden im Kantonsspital für den 76-Jährigen angefertigt. Dafür wurde ein Gipsabdruck vom Fuss genommen, ein Plastik-Schuh angefertigt und getestet, ob Druckstellen entstehen.
«Für mich ist es unverständlich, dass in einem Land wie der Schweiz den
eigenen Leuten, die am Ende der Kette stehen, so etwas nicht finanziert wird»Barbara Meier
Die Schuhe haben einen entsprechend hohen Preis: Knapp 4000 Franken haben die orthopädischen Massschuhe gekostet. Die IV übernimmt nur 75% der Kosten. Dies, weil ab dem Pensionsalter Besitzstand gilt. Das heisst: Waren vorher wie bei Peter Steiner «nur» orthopädische Serienschuhe nötig, muss der Selbstbehalt bei den teureren orthopädischen Massschuhen nun selber bezahlt werden. Das sind in diesem Fall knapp 1000 Franken. Meier fragte bei der Beiständin nach, ob die Schuhe gekauft werden können. Doch aufgrund Steiners finanzieller Lage – er lebt ausschliesslich vom IV-Geld und den Ergänzungsleistungen (EL) – kann er sich diese Schuhe nicht leisten. «Für mich ist es unverständlich, dass in einem Land wie der Schweiz den eigenen Leuten, die am Ende der Kette stehen, so etwas nicht finanziert wird», sagt Meier, die sah, wie Peter Steiner litt. Sie gab deshalb nicht auf und suchte nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten für den Selbstbehalt-Teil und landete schliesslich beim Sozialdienst der arwo. Dort gibt es einen Fonds mit Spendengeldern, der für genau solche Härtefälle eingesetzt wird.
Verwaltet wird das Geld von Renate Buri, Leiterin des arwo-Sozialdienstes. Sie war vorher selbst jahrelang als Beiständin tätig und kennt die angespannte finanzielle Situation von Personen, die in einer Einrichtung wie der arwo leben und nur eine IV- oder AHV-Rente und EL erhalten und über kein Vermögen verfügen. Heimkosten, die Grundversicherung der Krankenkasse sowie allfällige Krankheitskosten sind zwar gedeckt. «Für ‹persönliche Auslagen› stehen ihnen pro Monat hingegen lediglich 453 Franken zur Verfügung», so Burri. Damit müssen Taschengeld, Kleider, Hygieneartikel, Kosmetika, Zusatzversicherung Krankenkasse, Haftpflichtversicherung, Telefon, Zeitschriften, persönliche Anschaffungen, Ferien, Hobbies, Freizeit und andere persönliche Auslagen
finanziert werden. Da liegen 1000 Franken als Kostenbeteiligung für den Selbstbehalt solcher Schuhe nicht drin – auch wenn sie wie bei Peter Steiner dringend nötig wären und Wunden sowie Entzündungen verhindern können. «Zu sehen, was sich die Bewohner manchmal alles nicht leisten können, bricht mir manchmal fast das Herz», sagt Barbara Meier und fügt Richtung Peter Steiner hinzu: «Aber du machst das gut.» Er wisse mittlerweile genau, wo welche Produkte am günstigsten sind. Das Cola Zero, das er so gerne trinkt, kauft er beispielsweise im Aldi ein. «Dort ist es am günstigsten», sagt er und strahlt.
«Deshalb sind wir froh, dass wir Härtefälle durch
Spendengelder decken können»Roland Meier
Um grössere Anschaffungen wie die Spezialschuhe finanzieren zu können, reicht ein sparsames Leben jedoch nicht. Nicht nur dort kann dank den erhaltenen Spenden geholfen werden, sondern auch bei individueller Begleitung, die nicht durch die kantonalen Pauschalen gedeckt ist. «Muss ein Bewohner ins Spital und hat keine Angehörigen, die ihn begleiten können, übernimmt das die Betreuungsperson. Diese Personalkosten werden aber von niemandem übernommen», nennt Geschäftsführer Roland Meier ein Beispiel. Sind das wie früher Einzelfälle, übernimmt die arwo diese Kosten. Doch inzwischen sind über ein Drittel der Bewohnenden über sechzig. Entsprechend nehmen Spitalaufenthalte und Arztbesuche zu. Zwar ist es heute immer noch so, dass Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung im Durchschnitt zehn Jahre weniger lange leben als nicht beeinträchtigte Menschen. Früher war die Differenz jedoch noch grösser. Und dies, obwohl die Gesamtbevölkerung heute gegenüber 1982 im Schnitt neun Jahre älter wird. Entsprechend sind Menschen mit Beeinträchtigung immer häufiger auf Hilfsmittel und die Begleitung durch Betreuungspersonal angewiesen. «Deshalb sind wir froh, dass wir Härtefälle durch Spendengelder decken können. So können wir es unseren Bewohnern in den meisten Fällen ermöglichen, bis an ihr Lebensende bei uns zu wohnen,» erklärt Roland Meier.
Mittlerweile hat Peter Steiner die Stützstrümpfe angezogen und schaut vom Sofa durchs Fenster nach draussen. «Es hat Nebel», bemerkt er und hofft, dass er sich verzogen hat, bis er mit Barbara Meier nach Baden fährt. Die Schuhe stehen bereits parat. (Melanie Bär)