Hans Sollberger (80) arbeitete von der Gründung 1974 bis zu seiner Pensionierung 2008 in der arwo und baute unter anderem die Mechanik auf. Andi Widmer (40) trat 2009 als Mechaniker in die arwo ein, bildete sich zum Arbeitsagogen weiter und ist heute Gruppenleiter in der Mechanik. Eine Begegnung am ehemaligen und aktuellen Arbeitsort der beiden.
Hans Sollberger (betritt die Mechanikabteilung): Als ich mich im Sommer 2008 vorstellte, stand hier alles noch im Rohbau und es tropfte von der Decke. Als junger Mechanikermeister, der zuletzt in einem Industriebetrieb in Süditalien gearbeitet hatte, wurde ich als Gruppenleiter Ausbildung angestellt. Mein Auftrag war, geeignete Arbeits- und Ausbildungsplätze für die Klienten bereitzustellen. Beim Betriebsstart am 4. November 1974 standen erste Handarbeitsplätze mit Werkbänken, Stühlen und ein paar alte Werkzeugmaschinen aus einer Liquidation da und es gab ein paar wenige Aufträge. (Sieht sich um.) Ein grosser Teil des Maschinenparks ist neu. Die meisten CNC-Maschinen wurden nach meiner Pensionierung angeschafft. Es stehen aber auch noch ein paar Maschinen hier, die ich damals gekauft hatte. (Lacht). Hier stand Röbi an einer Tischdrehbank und bearbeitete Antriebshebel für Passevites der Firma Merker. Der Kunde benötigte dringend eine Teillieferung, weshalb ich die fertigen Teile wägen wollte. Da meinte Röbi, ich brauche sie nicht zu wägen und nannte eine Zahl. Ich kam ja aus der Industrie und dachte überhaupt nicht daran, sein Zahlenverständnis zu hinterfragen, sondern füllte ohne Wägekontrolle den Lieferschein aus. Die falsche Stückzahl gab zu reden!
Andi Widmer: Hatte man früher nicht mehr Verständnis für Fehler?
Hans Sollberger: Das war unterschiedlich. Dieser Fehler ging klar auf mein Konto und dafür musste ich auch geradestehen.
Andi Widmer: Heute gibt es keine Fehlertoleranz bei der Qualität von Werkstücken. Wenn in einer Lieferung von 1000 Stück ein fehlerhaftes Teil gefunden wird, erhalten wir die ganze Ware zurück.
Konnte man sich damals viel Zeit für die Mitarbeiter nehmen oder musstet ihr auch grossen Wert auf die Produktion legen?
Hans Sollberger: Da waren wir vielleicht etwas privilegierter als ihr es heute seid. Aber wir standen am Anfang des Aufbaus eines neuen Betriebes. Während dieser Pionierphase mussten wir die Prioritäten stets neu setzen. Genügend Zeit für die Klienten zu haben, konnte für uns Angestellte auch Nacht- und Samstagsarbeit bedeuten.
Seid ihr heute unter starkem Zeitdruck?
Andi Widmer: Preise und Termine werden vom ersten Arbeitsmarkt mitbestimmt. Sie sind knapp kalkuliert und die Maschinen müssen so oft wie möglich laufen. In der Mechanikabteilung wird mit den Maschinen ein Grossteil des Umsatzes erwirtschaftet. Wir unterteilen die Arbeitsschritte und stellen den Mitarbeitenden Vorrichtungen zur Verfügung. So können sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln oder zumindest behalten und Arbeiten ihren Fähigkeiten entsprechend ausführen. Es ist ein Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und der Kernaufgabe, dem Begleiten der Menschen mit Handicap.
Hans Sollberger: Wie viele Personen arbeiten denn jetzt hier?
Andi Widmer: Das ist unterschiedlich. Im Moment sind es etwa 15 Mitarbeiter und 4 Betreuer.
Hans Sollberger: Einen so guten Betreuungsschlüssel hatten wir nie. Bei uns waren es 8 bis 10 Klienten und maximal 2 Angestellte. Allerdings produzierten wir Angestellten in der Regel nicht mit und die Maschinen liefen auch nicht immer alle. Im Gegenteil; manchmal wussten wir am Morgen nicht, was wir arbeiten werden, weil wir keine Aufträge hatten. Es herrschte Rezession und wir standen am Anfang. Jeder Auftrag musste neu hereingeholt werden.
Andi Widmer: Wir haben manchmal auch zu wenig Aufträge. Dann werden beispielsweise Maschinen gereinigt oder gewartet.
Hans Sollberger: Wir waren in der Anfangszeit vor allem mit dem Wachstum beschäftigt. Gesamthaft arbeiteten am Anfang 11, ein Jahr später 32 und zwei Jahre später 55 Klienten in der arwo. Wir waren ständig am Reorganisieren. Der agogische Aspekt stand nicht zuvorderst, sondern der Aufbau.
Andi Widmer: Wie seid ihr beim Aufbau der verschiedenen Abteilungen vorgegangen?
Hans Sollberger: Einerseits ergab er sich durch die Aufträge, die wir erhielten, und andererseits zufällig. Wir hatten beispielsweise eine Siebdruckerin im Team. Sie schlug vor, einen Handdrucktisch und später einen Siebdruckhalbautomaten zu kaufen. So entstand die Siebdruckerei. Ein anderer Versuch war der Aufbau einer Papierschöpferei, den wir leider aus Rentabilitätsgründen abbrechen mussten, obschon es sich um optimale Arbeitsangebote für die Klienten handelte. Ein Highlight war die Aufnahme der Produktion von Chlaussäckli, welche sich zu einem Renner bis in die heutige Zeit entwickelt hatte.
Andi Widmer: Heute sucht man gezielt Fachleute für die spezifischen Arbeitsgruppen, wenn möglich mit agogischer Zusatzausbildung.
Hans Sollberger: Fachleute mit agogischer Zusatzausbildung gab es damals praktisch keine. Darum engagierte sich der Werkstätteverband «Insos», daraus entstand die heutige agogis, das Bildungsangebot für Sozialberufe. Da der wachsende Betrieb zunehmend unterschiedliche Arbeitsfelder anbot, beauftragte uns die Invalidenversicherung mit beruflichen Abklärungen, Arbeitstrainings und Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt. Dies betraf insbesondere «Spätinvalide», damals vorwiegend Italiener, die wegen ihrer Arbeit im Baugewerbe Rückenprobleme hatten. Wir durften mithelfen, die Praxisausbildung (PrA) zu entwickeln. Während vielen Jahren haben wir Klienten, die nach der heilpädagogischen Schule (HPS) zu uns kamen, selbst ausgebildet.
Andi Widmer: PrA bieten wir in der Mechanik immer noch an. Diese Ausbildung steht Menschen mit Lernschwierigkeiten offen, die keinen Zugang zu einem anerkannten Berufsabschluss (EBA, EFZ) haben. Die Schulbildung erhalten sie aber nicht durch uns, sondern in der Berufsschule Scala in Aarau, der ersten interinstitutionellen Berufsfachschule für Menschen mit Beeinträchtigung. Zudem können bei uns Personen, die lange Zeit nicht im Arbeitsmarkt waren, ein Aufbautraining machen.
Wie war das eigentlich, hattet ihr auch viel mit den Angehörigen zu tun?
Hans Sollberger: Ja, Eltern hatten ein wichtiges Wort mitzureden. Sie waren aber auch sehr engagiert. Manchmal kamen sie hierher, um beim Arbeiten mitzuhelfen.
Andi Widmer: Das ist heute anders. Unser Credo ist, dass der Klient selbst bestimmt. Viele wollen nicht, dass wir die Eltern miteinbeziehen. Das respektieren wir.
Hans Sollberger: Damals haben wir Eltern über alles Auskunft gegeben. Es bestanden diesbezüglich keine gesetzlichen Vorgaben. Ich finde es gut, dass die Klienten heute gestärkt werden in ihrem Selbstbewusstsein und dadurch mehr Verantwortung für sich wahrnehmen können.
Text: Melanie Bär