Bus, Musik und Lebensfreude: Sie prägen den Alltag von Boban Glisic.
Boban Glisic sitzt auf dem Sofa im Atelier an der Kirchstrasse, wo er werktags das Beschäftigungsangebot der arwo besucht. Am liebsten ist ihm, wenn gebastelt wird. Der Höhepunkt dieser Woche war allerdings der Geburtstag einer Arbeitskollegin, die Zitronenkuchen mitbrachte. Auch wenn sich Boban sprachlich nicht immer so ausdrücken kann, dass seine Zuhörer ihn verstehen, so ist er trotzdem voll integriert in der Gruppe. Er schaut seinen Gegenübern direkt in die Augen, seine frohe Natur macht es ihnen einfach, ihn zu mögen.
Der 36-Jährige hat keine Berührungsängste. Das kommt ihm etwa im Bus zugute, in den er am liebsten zuvorderst einsteigt. Wenn möglich direkt hinter dem Chauffeur oder der Chauffeuse, um mit ihnen in Kontakt zu kommen. Es ist offensichtlich, dass Boban Glisic das Busfahren liebt. Er weiss auch genau, welche Buslinie an seinem zehnminütigen Fussmarsch vom Arbeitsplatz bis zum Wohnheim entlangführt. «Drei», sagt er und bewegt freudvoll seine Hände hin und her.
An diesem Donnerstagabend sehen er und seine sechs Arbeitskolleg*innen den Bus beim Heimgehen allerdings nur noch von hinten. Sie sind ein paar Minuten später als üblich beim Atelier losgelaufen. Einsteigen würden sie aber sowieso nicht. Dafür ist der Arbeitsweg vom Atelier ins Wohnhaus zu kurz und der Bus fährt in die andere Richtung.
Trotzdem fährt Boban Glisic immer wieder Bus. Manchmal auch auf eigene Faust, so wie kurz vor Weihnachten, als er unbeobachtet in einen Bus stieg. Aufgrund mehrerer Verwechslungen wurde sein Verschwinden erst bemerkt, als eine Kontrolleurin am nächsten Tag feststellte, dass er keinen Fahrschein hatte. Er hat die Reise glücklicherweise schadlos überstanden. Keine Selbstverständlichkeit, da er die möglichen Gefahren einer solchen Reise aufgrund seiner Beeinträchtigung nur sehr schlecht abschätzen kann. «Wir wollen ihn vor diesen Risiken bewahren, ihn aber auch nicht einsperren», nennt John Green, Leiter arwo-Agogik, das Dilemma und fügt an: «Wir wissen, dass es trotz aller Vorsicht wieder vorkommen kann, dass Boban unbemerkt in einen Bus steigt. Um ihn in einem solchen Fall schnell zu finden, trägt er einen Ortungssender bei sich.»
Damit er trotzdem nicht auf seine grosse Leidenschaft verzichten muss, begleiten ihn immer wieder Angestellte auf seine Bus-Abenteuer. Beim nächsten Ausflug will er am RVBW-Schalter in Baden eine neue Krawatte holen. «Rot», sagt Boban und verzieht sein Gesicht zu einem Lachen.
Es ist nicht seine erste RVBW-Krawatte. Die letzte hat er jedoch seinem Zimmernachbarn geschenkt. «Das ist typisch Boban», kommentiert seine Bezugsperson
Katharina Wernli und fügt an: «Er ist sehr grosszügig und hilfsbereit.» Im Wohnheim angekommen, leiht er sich die Krawatte fürs Foto-Posieren kurz aus.
Dann setzt er sich ans iPad und tippt mit den Fingern aufs Display. Nach ein paar Minuten ertönt serbische Volksmusik. Boban nimmt seine Deo-Dose, mimt damit ein Mikrofon und beginnt mitzusingen. Die Tür zu seinem Zimmer steht offen. Immer wieder bleibt ein Mitbewohner stehen und beginnt den Kopf im Rhythmus der Musik zu bewegen. Zimmernachbar Arno Brunner holt eine CD nach der anderen und streckt sie Boban
Glisic hin. Schliesslich rollt Urs Ehrensperger in seinem Rollstuhl heran. Mit dabei seine Mundharmonika. Er strahlt übers ganze Gesicht und beginnt zu spielen. Boban Glisic steht auf und tanzt dazu. Die Stimmung ist fröhlich und unbeschwert. Auch die Angestellten lassen sich davon anstecken. «Du verstehst, was sie singt», sagt Katharina Wernli mehr als Bemerkung denn als Frage und fügt lachend an: «wir nicht.» Boban nickt und stimmt ins Lachen ein.
«Musik ist für Boban wichtig», führt sie etwas später aus. Er besucht auch regelmässig die Disco. Oft in Begleitung seines Bruders, zu dem er ein enges, gutes Verhältnis hat. «Er verbringt eigentlich jedes Wochenende bei seiner Familie und wird dort überall hin mitgenommen.» Inklusion wird so als Selbstverständlichkeit gelebt. Auch mit seinen Mitbewohner*innen der arwo geht er ab und zu tanzen. Dann, wenn insieme eine Disco in Baden veranstaltet und die Betreuer*innen mit den Bewohner*innen im Allegra hingegen. «Das müssen wir wieder mal machen», sagt Katharina Wernli, ehe sie auf die Uhr schaut, bemerkt, dass bereits Zeit fürs Abendessen ist. Boban schliesst den Deckel seines iPads und verlässt sein Zimmer strahlend Richtung Küche.