Neugierig beobachtet Benjamin Gross den heranfahrenden Lastwagen, der eine Maschine vor die Mechanik-Werkstatt bringt. Er sieht zu, wie sie ausgeladen wird, kommt näher und betrachtet das neue Gerät von allen Seiten. Der 42-Jährige weiss genau, worum es sich bei der weissen, circa vier Tonnen schweren Maschine handelt. «Das ist eine Fräsmaschine», sagt er, lacht und fügt an: «Früher habe ich Lernende an dieser Maschine ausgebildet.»
Früher – als er noch als Mechaniker im Paul-Scherrer-Institut arbeitete. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Als Berufsbildner war er nur kurz tätig. Aus gesundheitlichen Gründen musste er den Job aufgeben. Seit acht Jahren arbeitet er an einem geschützten Arbeitsplatz in der Mechanikabteilung in der arwo Stiftung. Drei Stunden täglich, an vier Tagen in der Woche. Danach ist seine Energie aufgebraucht. Er geht nach Hause, wo er nicht selten den ganzen Nachmittag schläft, um sich zu erholen.
Was ist passiert? Als 13-Jähriger hatte Benjamin Gross einen ersten epileptischen Anfall. Weitere folgten, kamen regelmässiger und wurden heftiger. Man suchte die Ursache, war ratlos. Bis der Arzt einen Tumor fand. Er war der Auslöser dieser Anfälle. Vermutlich ein Geburtsgebrechen. Der Tumor wurde operativ entfernt. Noch während der Strahlentherapie kehrte er ein paar Monate später in seine Klasse an die Bezirksschule in Klingnau zurück. «Ich wollte weitermachen, die Schule war mir wichtig», sagt er. Trotz seinem Willen zu lernen wurden die Einschränkungen immer grösser. Seine Leistung reichte nicht mehr, er musste in die Sekundarschule nach Würenlingen wechseln. Als Folge der Operation konnte Benjamin Gross Neues nicht mehr aufnehmen, hatte Mühe, Texte zu verstehen und zu verarbeiten sowie Fremdsprachen zu erlernen. Trotzdem startete er ins erste Lehrjahr als Mechaniker, musste sie aber unterbrechen und machte eine Zwischenlehre als Werkzeugmaschinist. Immer wieder kam es zu gesundheitlichen Unterbrüchen. Schliesslich beendete er seine Zwischenlehre, machte die Ausbildung als Mechaniker fertig und bildete sich später als Berufsbildner weiter. All dies wurde nur möglich, weil jedes Jahr eine neue Lernmethode angewendet wurde. Nach ein paar Jahren musste sich Benjamin Gross einer weiteren Kopfoperation unterziehen, weil nach der Strahlentherapie Jahre zuvor ein Aneurysma entdeckt wurde, eine Ausbuchtung an einem Blutgefäss im Gehirn. Das Risiko, dass es reisst und zu einer lebensbedrohlichen Blutung führt, wurde von Jahr zu Jahr grösser.
Ich fragte mich oft, wie es weitergehen soll
Benjamin Gross
Um dem vorzubeugen, wurde es ebenfalls operativ entfernt. Er kehrte in den Beruf zurück, doch die gesundheitlichen Beschwerden nahmen weiter zu. «Ich wurde immer weniger aufnahmefähig und langsamer, konnte mit dem geforderten Tempo nicht mehr mithalten», erzählt er. Er wechselte den Betrieb, arbeitete im Modellformenbau und machte weitere ärztliche Abklärungen. Schliesslich erhielt er die Kündigung. Es folgten IV-Abklärungen, um zu testen, wie viel Belastung Benjamin Gross verträgt. «Es war ziemlich enttäuschend und frustrierend. Ich fragte mich oft, wie es weitergehen soll. Vor allem am Anfang.» Schliesslich bekam er eine Rente zugesprochen. Trotzdem wollte er unbedingt als Mechaniker weiterarbeiten, auch wenn ihm mittlerweile klar war, dass er im ersten Arbeitsmarkt nicht mehr mithalten kann. Schliesslich fand er einen geschützten Arbeitsplatz in seinem gelernten Beruf in der Mechanik der arwo. Am Anfang arbeitete er ganztags, bis die Energie nicht mehr reichte und er auf den halben Tag und schliesslich auf drei Stunden reduzierte. «Danach bin ich erschöpft, gehe heim, um zu schlafen.» Nach Würenlingen, wo er mit seiner Frau, seinem Sohn (18) und seiner Tochter (15) lebt. Wie belastend ist die Situation für sie? «Sie kennen nichts anderes und können mit dieser Situation umgehen.» Auch er selbst hat sein Schicksal akzeptiert. «Es bleibt mir nichts anderes übrig», sagt er, lacht und fügt schliesslich doch noch an, dass sein Sohn manchmal beunruhigt sei. Er versuche, ihn zu trösten. «Ich will nicht negativ denken und zu ernst sein. Ich muss machen, was ich kann, und damit zufrieden sein. Das bin ich meistens auch», sagt er und wendet sich wieder der neuen Maschine zu. «Ich würde gerne daran arbeiten», sagt er. Sein Wunsch wird sich bald erfüllen. Die Mechaniker sind bereits daran, sie einzurichten. Damit Benjamin Gross und seine Arbeitskolleg*innen an der Maschine künftig Kundenaufträge ausführen können.